Die Welt der Superstars hatte schon immer etwas Künstliches an sich. Wie geschaffen also für virtuelle Wesen wie Noonoouri.
Seit gut sechs Jahrzehnten begleitet uns der Prozess der Digitalisierung. Dennoch sorgen die Verheißungen der IT-Branche immer wieder für große Aufregung. In regelmäßigen Abständen werden Blockchain-Anwendungen, virtuelle Welten und künstliche Wesen in Form raumgreifender Hypes durch die Medienwelt gejagt. Nach Kryptowährungen, Metaverse und NFTs ist wieder einmal die Künstliche Intelligenz an der Reihe. Ja nach spekulativem Szenario soll sie entweder Leben und Wohlstand der Menschheit verbessern oder die gesamte Zivilisation vernichten.
Eines ist gewiss: Künstliche Intelligenz wird in erster Linie den großen IT-Konzernen hohe Profite bescheren, während der Rest der Menschheit mehr oder weniger große Kollateralschäden in Form von Einkommensverlust oder Mehrarbeit schultern muss. Der Grund für den aktuellen KI-Hype ist nämlich schnell gefunden: Microsoft hat von OpenAI die exklusiven Verwertungsrechte an ChatGPT erworben und will damit Alphabet/Google die Monopolstellung bei Suchmaschinen abluchsen. Entsprechende PR-Maßnahmen haben dafür gesorgt, dass ChatGPT für viele zum Synonym für KI wurde – was ja Sinn und Zweck der Aktion gewesen ist.
Berechneter Erfolg
Wo KI-Software aus einer möglichst großen Datenfülle versucht, neue Inhalte zu erschaffen und menschliche Fehler zu vermeiden, tun sich naturgemäß viele Felder auf, Produkte und Inhalte dermaßen punktgenau auf eine Zielgruppe maßzuschneidern, dass diese, so die Theorie, dem Angebot gar nicht widerstehen kann. Damit soll ein ewiger Wunschtraum der PR- und Marketingbranche in Erfüllung gehen, und nebenbei Werbung gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden.
Auf Anbieterseite steht veritable Kostenersparnis in Aussicht, muss doch nicht mehr langwierig herumprobiert und abgeglichen werden. Im Idealfall ist das zu vermarktende Gut schon weitgehend perfekt auf die Zielgruppe zugeschnitten und bedarf nur noch kleiner Anpassungen. Die KI-Software hat schließlich fleißig vorgearbeitet. Nach dieser Prämisse entstehen zwar relativ charakterlose und wenig überraschende Produkte mit kurzer Halbwertszeit, aber das ist letzten Endes auch zweitrangig. Solange genügend verwertbare Substanz vorhanden ist, können unendlich viele Variationen des immer Gleichen angefertigt und ohne Reibungsverluste verkauft werden.
Kunst aus der Retorte
Bislang ist die Kreativbranche relativ sicher gewesen, von Software nicht aus dem Beruf gedrängt zu werden. Damit dürfte es bald vorbei sein, denn vieles, was bislang als genuin menschliche Eigenschaft gegolten hat, kann auf einmal von Rechenmaschinen erledigt werden. Diese sind mittlerweile so schnell und billig, dass sie mit herkömmlichen Aufgaben chronisch unterfordert sind. Warum sie also nicht aus vorhandenem Material etwas Neues errechnen lassen? Auch verstorbene Künstler können so wieder in den Verwertungsprozess integriert werden.
Als Beispiel mag RTLs Neuauflage des Kinderserienklassikers Pumuckl gelten, bei der Stimmaufnahmen des 2005 verstorbenen Schauspielers Hans Clarin als Vorlage für neue Sprechpassagen herhalten mussten. Die Möglichkeiten scheinen so endlos wie die Ungereimtheiten hinsichtlich bestehenden Urheberrechts. Auf der sicheren Seite ist, wer dem Original nicht zu nahe kommt, aber doch so nahe, dass sich von dessen Popularität möglichst viel abzweigen lässt. Unter wirtschaftlichen Aspekten gesehen sind virtuelle oder KI-basierte Künstler geradezu ideale Inhaltelieferanten. Sie altern nicht, stehen immer zur Verfügung, und verlangen, sind sie einmal in die Welt gesetzt, keine Gage.
Der maßgeschneiderte Star
Kein Wunder, dass auch die Großen der Unterhaltungsbranche längst mit Stars aus dem Computer liebäugeln. Aktuelles Beispiel ist die virtuelle Figur Noonoouri, welche kürzlich von Warner Music unter Vertrag genommen wurde. Anders als das große Vorbild Miku Hatsune von Crypton Future Media hat Noonoouri ihre Vorgeschichte nicht in der Welt der Mangas, sondern ist bislang als virtuelles Model und Influencerin in Erscheinung getreten. Da Mode und Popmusik aber einander gut ergänzen, kann eine Karriere als Musikerin nicht schaden.
Im Gegensatz zu Miku Hatsune ist dafür ein tatsächlich existierender Musiker zum Einsatz gekommen in Form des Berliner DJs Frans Zimmer. Dieser sorgt für ein wenig überraschendes Eurodance-Fundament, auf dem Noonoouri mit absatzoptimierter Stimme ihre Texte säuselt und schmettert. Bislang mit großem Erfolg, jedenfalls in der dauerhippen Fashion-Szene. Absolut stimmig, dass Warner die singende Noonoouri auf einem eigenen Sublabel veröffentlicht, das in Zusammenarbeit mit der Luxushotelkette Five aus Dubai gegründet wurde. Schließlich gilt Dubai als Hotspot der internationalen Influencer-Gemeinde.
Foto: Warner Music Europe