Während die EU gerade erst eine gesetzliche Regelung für den boomenden Markt KI-generierter Anwendungen vollendet hat, setzt man in den USA auf Ausprobieren. Mit Channel 1 betritt ein komplett KI-basierter Nachrichtenkanal die Weltbühne.

Einmal mehr zeigen sich die kulturellen Unterschiede zwischen EU und USA im Umgang mit Technologie. Das hat auch mit dem Rechtsverständnis zu tun: während in Europa Produkte und Dienstleistungen von unabhängigen Stellen ausgiebig getestet werden, bevor sie eine Zulassung erhalten, experimentieren Unternehmen auf der anderen Seite des Atlantiks im bereits laufenden Betrieb. Geht dabei etwas schief, verspricht das Instrument der Sammelklage Entschädigung.

Kommen zum juristischen Laissez-Faire risikofreudige Investoren hinzu, ergibt sich jene Melange, die als Silicon Valley den westlichen Gegenpol zur Wall Street bildet, und somit einen wichtigen Beitrag zur technologischen Vormachtstellung der USA. Zwar werden dabei auch Milliardenbeträge verheizt, wie etwa bei den schwer gehypten Themen NFT und Metaversum, in Summe zahlt sich der Wagemut aber aus.

Alles wird zu Bits und Bytes

Mit dem aktuellen KI-Hype wird ein weiteres Kapitel der IT-Geschichte geschrieben. Rationalisierungsprozesse durch Rechenmaschinen sind zwar nichts Neues, lernfähige Software setzt aber neue Maßstäbe hinsichtlich ihrer intrinsischen Wirkung auf die Gesellschaft. Mittels enormer Datensammlungen und blitzschneller Rechenvorgänge können Inhalte derart realitätsnah gestaltet werden, dass sie kaum noch von der Realität zu unterscheiden sind.

Neben dem enormen Stromverbrauch solcher KI-Software ergibt sich daraus eine ethische Frage, nämlich jene nach der redlichen Absicht der aktiven Betreiberschaft. Im Umgang mit Phänomenen wie Social Media ist dabei vieles aus dem Ruder gelaufen und sorgt für einen ganzen Strauß gesellschaftlicher Probleme. Bei KI-Software ist die Gefahr des Missbrauchs noch wesentlich größer, zumal sich mit ihrer Hilfe die Deutungshoheit noch weiter als bisher von demokratischen Instanzen wegbewegen lässt. Die Gefahr einer völlig fragmentierten Öffentlichkeit ohne gemeinsame Kommunikationsbasis ist durchaus real.

Der Anchorman aus dem Rechner

Einen konkreten Schritt weg von der bekannten Medienlandschaft liefert das US-Startup Channel 1, das im Laufe des Jahres seinen gleichnamigen Nachrichtenkanal launchen will. Auf den ersten Blick wirkt Channel 1 vertraut und ähnelt in Aufbau und Gestaltung großen internationalen News-Programmen. Bis die geneigte Zuseherschaft bemerkt, dass Sprecherinnen und Sprecher ihr Aussehen komplett verändern und ihre Texte lippensynchron in hunderten Sprachen vortragen können. Menschen können so etwas nicht, virtuelle Persönlichkeiten hingegen sehr wohl.

Channel 1 selbst weist darauf hin, dass zwar das gesamte Nachrichtenstudio samt Sprecherschaft computergeneriert ist, die Inhalte aber keineswegs Fake News seien. Zwar stammen auch die Inhalte weitgehend von KI-Software und lassen sich personalisieren, dies aber nach algorithmisch festgelegten Kriterien so objektiv wie möglich. Ob und wie gut das funktioniert, wird sich erst im laufenden Betrieb beurteilen lassen. Schon jetzt lässt sich aber einschätzen, dass für Medienhäuser und Rundfunkanstalten Konkurrenz aus unerwarteter Richtung heranwächst.

Foto: channel1.ai

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