Das Zürcher Museum für Gestaltung widmet dem italienischen Kunstfotografen Oliviero Toscani eine Ausstellung zur Ethik in der Werbebranche.

Ein „household name“ ist Oliviero Toscani nicht gerade, doch seine aufsehenerregenden Fotografien dürften den meisten bekannt sein. Das hat mit seinen Auftragswerken für das italienische Modehaus Benetton in den 1980er Jahren zu tun, in deren Rahmen Toscani die damaligen Grenzen des Erzählbaren auszuloten trachtete. Entstanden sind zeitlose Aufnahmen, die auch heute noch die Blicke auf sich richten: Deviation, physische Gewalt, verborgene Begierde sind darin zu finden, gesellschaftliche Tabuthemen, die einen Diskurs förmlich erzwingen. Luciano Benetton persönlich erkannte das Potenzial der verstörenden Sujets als Werbeträger, um seine Modekreationen mit einem Hauch Verruchtheit und Gefährlichkeit aufzuladen. Bei dem vornehmlich jungen Publikum ist diese Rechnung aufgegangen. So gut, dass Toscani von längeren Pausen unterbrochen bis in die jüngste Vergangenheit mit Benetton zusammengearbeitet hat.

Provokation als Verkaufsargument

Seit der schrittweisen Liberalisierung der westlichen Gesellschaft in den 1960er Jahren, vor allem in Hinblick auf die Popkultur, gilt die Abgrenzung zu etablierten Normen als erstrebenswertes Merkmal. Bis heute ein Meilenstein in dieser Hinsicht die zurechthalluzinierten und verrauschten Kurzfilmchen Charles Wilps für die Marke Afri-Cola, in denen für damalige Verhältnisse wahre Sinnesorgien auf die Betrachterschaft einströmten. Der erwartete Erfolg ließ denn auch nicht auf sich warten und sorgte lange Zeit dafür, dass Afri-Cola im Vergleich zur Konkurrenz cool und verwegen galt.

Ganz zu schweigen von dem Abgrenzungseffekt zu den meist bieder-kleinbürgerlichen Werbesujets, die zu jener Zeit üblich waren und als akzeptabel galten. Seither lautet ein unumstößliches Gesetz der Werbebranche: nahezu alles geht, was in der Lage ist, Aufmerksamkeit zu generieren. Ihren bisherigen Kulminationspunkt hat diese Branchenweisheit in den Algorithmen der großen Social Media-Konzerne gefunden, die ganz bewusst nach maximalem Impact auswählen, was der Konsumentenschaft angezeigt wird.

Zwischen Kunst und Kommerz

Nur um billige Effekthascherei ist es Oliviero Toscani indes nie gegangen. Er ist ein ausgesprochen talentierter Fotograf, dessen Ziel immer gewesen ist, die Menschheit oder wenigstens die Kunstwelt wachzurütteln. Bewusst Ausgeblendetes steht bei Toscani immer im Mittelpunkt, und wenn die Motive Schockwirkung entfalten, dann mögen sie doch bitteschön zum Nachdenken und Diskurs einladen. Ob dieser Anspruch bei den Aufträgen für Benetton immer richtig zur Geltung gekommen ist, mag hinterfragt werden, und ist auch Gegenstand der Ausstellung in Zürich.

Wie weit darf kommerzielle Beeinflussung gehen? Angesichts einer schrankenlos wirkenden Onlinewelt stellt sich die Frage wie nie zuvor, zumal die zahlreichen negativen Auswirkungen längst bis ins Detail analysiert sind. Dessen ungeachtet bietet die Zürcher Werkschau einen faszinierenden Einblick in die Sichtweise Oliviero Toscanis, an der er uns in seinen faszinierenden Fotografien teilhaben lässt, und die ihn bis in die erlauchten Kreise Andy Warhols Künstlerkollektivs Factory befördert hat. Einen Daytrip nach Zürich ist das allemal wert. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis 15. September 2024.

Foto: Susanne Völm, ZHdK

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