Das Kremser Donaufestival 2019 widmet sich noch bis 5. Mai der Frage, wie sich die gewohnten Strukturen unserer Gesellschaft verändern. Das Programm zeigt sich wie immer eklektizistisch und stilsicher.
Die pittoreske Kleinstadt Krems an der Donau nennt nicht nur ein weitgehend intaktes Altstadtviertel, ein Karikaturenmuseum und im Stadtteil Stein ein berüchtigtes Gefängnis ihr eigen, sondern ist auch Austragungsort zahlreicher Veranstaltungen jenseits des etwas verträumten und weinseligen Images.
Eine davon ist das mittlerweile traditionelle Donaufestival, das unter tatkräftiger Ägide Tomas Zierhofer-Kins und, seit 2017, Thomas Edlingers einen hervorragenden Ruf gewonnen hat, der weit über die Landesgrenzen hinausreicht. Grenzen sind überhaupt etwas, das am Donaufestival nicht gerne gesehen wird. Sie werden mit Vorliebe überwunden. Unter einem jährlich festgelegten Motto ist alles erlaubt, was thematisch passt. Daraus ergibt sich eine beachtliche stilistische Bandbreite, die immer wieder für Überraschung sorgt.
Expect the unexpected
Zentrales Thema des Donaufestivals neuer Prägung ist der Bruch mit Gewohnheiten. Ein Festival der leichten Unterhaltung will und kann es nicht sein, zu verstörend die behandelten Themen, zu widerspenstig die teilnehmenden Künstler. Zudem werden Hoch- und Subkultur bunt durcheinandergewürfelt und aus Substraten der Ausgangspunkte neu zusammengefügt, auf dass Neues entstehe. Insofern ist das Donaufestival selbst als Teil der analysierten Gesellschaft immer wieder im Umbruch und auf der Flucht vor drohendem Stillstand und allzu viel Gewohnheit.
Das gelingt einmal besser, einmal schlechter, in diesem Jahr ist es Thomas Edlinger aber wieder gelungen, ein famoses Programm zusammenzustellen. Mit zur Diversität tragen die höchst unterschiedlichen Veranstaltungsorte bei: Von der abgedunkelten und mit weihevoller Aura erfüllten Minoritenkirche in der Altstadt über kleine verwinkelte Galerien bis hin zum eher nüchternen Stadtsaal ist für Abwechslung gesorgt. Die bühnentechnische Ausstattung ist dabei über alle Zweifel erhaben und sorgt für eindrückliche Erlebnisse.
Auf der Suche nach den Ursachen des Wandels
Das streng und knapp gehaltene Motto des heurigen Donaufestivals lautet „New Society“, versinnbildlicht durch eine Schafherde, in der sich auffallend viele schwarze Schafe befinden. Das von der Norm Abweichende stellt also für sich genommen eine neue Norm dar. Ähnlich ergeht es dem Betrachter aktueller sozialer Verwerfungen und Neuordnungen: nichts bleibt an seinem Platz, Altes vergeht, Neues entsteht, und aus den daraus resultierenden Spannungen erwächst die Sehnsucht nach Vertrautheit und Gewohntem.
Allesamt Entwicklungen, die sich bei einem Blick in die Geschichte der letzten Jahrzehnte erklären, wie es beispielsweise das junge belgische Tanzensemble fABULEUS unter Michiel Vandevelde in seinem Stück „Paradise Now“ tut. Die Alien Parade wiederum erstaunt mit lautstark intonierten volkstümlichen Blasinstrumenten, die zunächst so gar nicht zum restlichen Programm passen wollen. Dieses ist nämlich, was Musik anbelangt, eher fordernd-verstörenden Klanggewändern zugeneigt und sorgt wie bei Giant Swan oder Schtum für rhythmische und harmonische Dissonanzen.
In aller Stille
Gleichsam als Kontrapunkt ist etwa die Videoinstallation Félix Blumes zu verstehen, die Aufnahmen haitischer Begräbniszeremonien zeigt und vom Betrachter innere Einkehr erzwingt. Ähnlich ruhig geht es bei Jonas Staals Dokumentarfilmsammlung „Steve Bannon: A Propaganda Retrospective“ im Museum Krems zu. Sie veranschaulicht, wie politische Beeinflussung heute funktioniert, und bindet die Betrachter mit ein.
Eine Talk-Schiene gibt es auch, in der etwa die Wiener Philosophin Isolde Charim auf den deutschen Soziologen Heinz Bude trifft. Dieser Wirbel aus unterschiedlichen Ansätzen, Darbietungen und Örtlichkeiten ist es, welcher den Reiz des Donaufestivals auch dieses Jahr wieder ausmacht. Aus dem niederösterreichischen Veranstaltungszyklus ist es längst nicht mehr wegzudenken, hat es doch dem Bundesland ein Flair der Weltoffenheit und Leichtigkeit verliehen, das sonst nicht in dieser Form zu spüren ist. Bis Sonntag, den 5. Mai 2019, kann das Erfolgsrezept Donaufestival noch live erlebt werden.
Foto: David Visnjic/donaufestival