Mit dem Abschluss der „End of the Road“-Tour eröffnet die Supergroup Kiss ein neues Kapitel ihrer Existenz. Die Zukunft ist rein virtuell.

Die schwedische Popgruppe Abba hat mit ihrer überaus erfolgreichen Show „Voyage“ den Grundstein für eine neue Ära der Popmusik gelegt. Anstatt den aussichtslosen Kampf um künstlerische Neuerfindung weiterzuführen, wird einfach das Altbekannte konserviert und somit künftigen Generationen zugänglich gemacht. Ein Konzept, das hervorragend funktioniert.

So weist der Branchendienst Bloomberg für „Voyage“ einen Gewinn von zwei Millionen US-Dollar pro Woche aus. Trotz des gewaltigen technischen Aufwands scheint hier also eine wahre Goldgrube ihrer baldigen Erschließung zu harren. Pophouse Entertainment, Abbas Unternehmen hinter der Avatar-Show, hat damit ein neues Geschäftsmodell für die darbende Verwertungsindustrie geschaffen, das Songrechte und virtuelle Darbietungen auf effektive Weise vereint.

Live aus dem Datensatz

Physische und metaphysische Existenz nähern einander weiter an, wobei es letztendlich egal scheint, ob nun das Original auf der Bühne zu sehen ist oder ein Verweis auf das Original. Dem Publikum gefällt es, und es ist bereit, dafür Geld auszugeben. Die erste Hürde ist also genommen. Waren Abba die Pioniere, die der Musikwirtschaft die ersten Schritte auf neuem Territorium eröffneten, wird die Idee nun weltweit aufgegriffen. In diesem Falle von der legendären Rockband Kiss, die seit einem halben Jahrhundert Fans rund um den Erdball begeistert.

Die Vorteile einer virtuellen Existenz liegen auf der Hand: einmal erstellt, ist sie nicht nur keinerlei Alterung mehr unterworfen, sondern kann sogar jedes gewünschte Alter annehmen. Möglich wären also personalisierte Altersvarianten für definierte Zielgruppen, aber auch zeitgleiche „Live“-Auftritte auf mehreren Kontinenten. Pophouse Entertainment und der strategische Partner, George Lucas´ Special-Effects-Unternehmen Industrial Light & Magic, scheinen ihre Claims erfolgreich abgesteckt zu haben.

Die Tücke liegt im Detail

Wie schon bei „Voyage“ hat Pophouse für die virtuelle Kiss-Show umfangreiche Datensätze angelegt. Die Daten stammen primär aus minutiöser Aufzeichnung mehrerer Live-Darbietungen der echten Band, zu deren Zwecke die Musiker mit einer Vielzahl an Sensoren ausgestattet wurden. Diese Methode ist als „Motion Capturing“ bekannt und ermöglicht je nach Menge an erhobenen Daten eine täuschend ähnliche virtuelle Show. Sprich: je mehr Daten hinzukommen, desto präziser wird die Software. Aufbauend auf diesem gigantischen Datensatz können nach Budget und Laune Veränderungen vorgenommen werden.

Sind die Künstler erst einmal in dieser Form vorhanden, braucht man im Grunde die Vorlage gar nicht mehr. Klug also von Abba, das Prozedere gleich in die eigenen Hände zu nehmen. Angesichts des fortgeschrittenen Alters der Protagonisten eine Option, die von einer gewissen Realitätsnähe zeugt. Etwas Probleme bereitet den virtuellen Counterparts allenfalls noch die Interaktion mit dem Publikum, zumal die Performance in Echtzeit abläuft. Weiter steigende Rechenleistung und schnellere Übertragungsnetze dürften im Laufe der Zeit Abhilfe schaffen.

Wiederauferstehung

Da mit Abba und Kiss nun schon zwei Bands von Weltrang ihr Schaffen auf die virtuelle Ebene verlagert haben, scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis weitere folgen werden. Dabei ist eigentlich unerheblich, ob diese noch unter den Lebenden weilen. Einzig ethische und rechtliche Bedenken ließen sich als Hindernis denken, doch im Grunde genügt eine genügend große Fülle von Aufzeichnungen, um verstorbene Stars virtuell auferstehen zu lassen. Pflegeleichter sind die Avatare allemal: sie amortisieren sich rasch, stehen allzeit bereit für Höchstleistungen, und nerven nicht mit unbotmäßigem Verhalten.

Wobei ein wenig Rebellentum natürlich jederzeit hinzugefügt werden kann. So findet der Mythos des Rockstars womöglich seine zeitgemäße Entsprechung als durch und durch pflichtbewusste, gewinnoptimierte und anpassungsfähige Figur. Eine virtuelle Auferstehung Michael Jacksons oder Jim Morrisons scheint in Griffweite. Nur das Publikum, das wird sich noch an die virtuellen Shows gewöhnen müssen. Jedenfalls, solange nicht auch im Publikum Avatare sitzen.

Foto: Pophouse Entertainment

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