Wohin bewegt sich die Branche der „Meetings, Incentives, Conventions and Events“ (MICE) angesichts multipolarer Krisenherde? Wir versuchen herauszufinden, welche Technologie und welche Inhalte das Zeug zu zeitgemäßen Durchstartern haben.

Der berühmte Zukunftsforscher Matthias Horx hat in einem Interview einmal die These, Menschen wie er würden aktuelle Zeiterscheinungen durch die Lupe betrachten, gleichsam in sie hineinzoomen, gekontert. Das exakte Gegenteil sei der Fall. Die Zukunftsforschung trete einige Schritte zurück, um einen möglichst großen Ausschnitt des Status quo einzufangen. Nur so offenbare sich, welche Wechselwirkungen sich auftun und wie die Menschheit damit umgehen wird.

Tatsächlich ist in vielerlei Hinsicht erforderlich, sich mit gebotenem Abstand der Frage zu widmen, wie angesichts zahlreicher Herausforderungen sinnvolle Wege aussehen könnten und welche davon für das eigene Unternehmen in Betracht kommen. Dies ist umso wichtiger, als im allgemeinen Taumel rasch aufeinanderfolgender Hypes die Übersicht leicht abhanden kommt. Längst nicht jeder aufpoppende Trend vermag in der Praxis zu halten, was er verspricht. Blindlings jeder Modeerscheinung nachzulaufen, hat zu keiner Zeit funktioniert, heute hingegen kann es existenzbedrohend sein.

Zentrales Element der Überlegungen muss eine klare Selbstreflexion sein: Ist das Angebot in seiner aktuellen Form überhaupt noch zeitgemäß? Wie kann es flexibler und modularer gestaltet werden, um auf äußere Einflüsse besser reagieren zu können? Wo lässt sich eventuell ein vermeintlicher Nachteil in einen Vorteil verwandeln? An solchen Fragen kommt niemand mehr vorbei. Insbesondere die globale ­Covid-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie schnell sich Rahmenbedingungen ändern können, und damit auch die Erwartungshaltung des Publikums. Auf die Branche der „Meetings, Incentives, Conventions and Events“, kurz MICE, kommt allerhand zu. Chancen und Gefahren sind darin gleichermaßen vorhanden.

Im Mittelpunkt der Mensch

Wenn die Covid-Pandemie eines gezeigt hat, dann, dass der gebetsmühlenartig wiederholte Aufruf zu noch mehr Vir­tualisierung und Digitalisierung für die MICE-Branche ein Rohrkrepierer war. Aus der Not geboren und hastig umgesetzt, haben sich Hybridkonzepte als gestrandete Investments erwiesen. Das hat zwei einfache Gründe: Zum einen ist mit einem Onlineauftritt nicht möglich, die anfallenden Kosten einzuspielen, zum anderen fehlt virtuellen Formaten alles, was ein Live-Event besuchenswert macht. Das mag in manchem Kontext ­anders sein, etwa bei Computerspielmessen, doch selbst diese profitieren enorm von physischer Präsenz. Auch E-Sportler und Gamingprofis genießen gerne ein Leben abseits des Bildschirms.

Ein weiteres Resultat der Omnipräsenz digitaler Inhalte: Klarheit ist gefragt. Wo einst riesige Messeveranstalter dem Trend des permanenten Angebotswachstums gefrönt haben und damit sehr erfolgreich waren, punkten heute kleinere Ver­anstaltungen mit klarer Ausrichtung. Der sprichwörtliche Bauchladen, in dem für alle etwas dabei ist, hat ausgedient. Für kleinere Veranstalter bedeutet das eine riesige Chance, zumal sie meist auf ein Netzwerk treuer Besucher zählen können, die sich auf der jeweiligen Veranstaltung auch wirklich repräsentiert ­sehen. Wenn etwas definitiv im Aufwind ist, dann die Hinwendung zu weicheren Faktoren wie Menschlichkeit und Persönlichkeit, gleichsam als Kontrapunkt zu Kontroll­verlust und Unklarheit.

Der verflixte Fußabdruck

Auch wenn Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit durch ständiges hohles Repetieren zu regelrechten Unwörtern geworden sind: Das zugrunde liegende Motiv, nämlich die Achtsamkeit, gehört zu den Mega­trends der Gegenwart und nahen Zukunft. Für die MICE-Branche eine große Herausforderung, sind Messen und Events doch Garanten für hohen Energieverbrauch und jede Menge Müll. In diesem Punkt gibt es noch viel Handlungsbedarf, und dieser erstreckt sich wiederum auf alle Aspekte einer Veranstaltung. Schon in kluger Besucherführung und Optimierung der Anreise schlummert Potenzial, welches sich über die Wahl des richtigen Veranstaltungsortes und zeitgemäße technische Lösungen deutlich erweitern lässt. Einen positiven Nebeneffekt gibt es auch, nämlich die potenzielle Möglichkeit, viel Geld zu sparen.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass auch virtuelle und digitale Formate jede Menge Energie verbrauchen. Weniger auf Nutzerseite, umso mehr dafür in den riesigen Rechenzentren, die allerorten aus dem Boden wachsen, um die Nachfrage nach digitalen Inhalten zu ­erfüllen. Längst nicht jedes digitale Format stellt hinsichtlich Nachhaltigkeit einen Vorteil dar. Ein Sachverhalt, der bislang zu wenig Beachtung gefunden hat. Jede Menge Kollateralschaden entsteht natürlich auch durch die extreme Kurzlebigkeit digitaler Ausgabegeräte. Dies alles gilt es in einer Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen, um eine sinnvolle Strategie für die nahe und mittlere Zukunft entwickeln zu können.

Drei Trends, die Veranstalter kennen sollten

  • AV over IP

Immer öfter werden Audio- und Videosignale nicht mehr über eigene Kabelverbindungen übertragen, sondern über IP-Netzwerke. Der Grund: Solche Netzwerke sind mittlerweile Standard in nahezu allen Indoor-Umgebungen und Vorhandenes zu nutzen, stellt einen naheliegenden Vorteil dar. Zusätzlich zu den Nutzdaten lassen sich über IP-Netzwerke auch Kontrolldaten austauschen, ergo zwei Fliegen mit einer Klatsche erlegen. Kürzlich hat etwa das Wiener Burgtheater die 20 Jahre alte Beschallungsanlage ersetzt und eine solche Lösung implementiert. Somit ist man für die mittlere Zukunft gerüstet.

  • Glamping

Ein Trend, der die demografische Entwicklung zur Ursache hat: Mehrtägige Open-Air-Veranstaltungen ziehen längst nicht mehr ausschließlich junges Publikum an. Wenn Senioren wie die Rolling Stones auf der Bühne stehen, finden sich auch vor der Bühne ältere Semester ein, die den Stars ihrer Jugendzeit huldigen wollen. Ganz so wüst wie in der Vergangenheit will man das Event dann aber auch nicht mehr erleben, ergo bieten sich statt Schlafsack und Wurfzelt komfortablere Lösungen an. Das irische Unternehmen Aeropods bietet dafür etwa mobile Kabäuschen an, die aus Kabinenteilen ausgemusterter Flugzeuge bestehen. 

  • Retro

Was wäre eine Veranstaltung ohne Programm? Aus vielerlei Quellen speist sich die wachsende Faszination für Altes, Vergessengeglaubtes und Wiederentdecktes. Auch hier spielt der Nachhaltigkeitsgedanke eine wichtige Rolle, gilt doch als erwiesen, dass viele Produkte am meisten Ressourcen bei ihrer Entstehung verbrauchen. Je länger sie also -genutzt werden, desto besser ihre Energiebilanz. Auch das beliebte Upcycling gehört zu diesem Trend, ermöglicht es doch, vermeintlich nutzlos gewordenen Dingen eine neue Verwendung zu schenken. Von der programmatischen Gestaltung her zeigt sich Altbewährtes ebenfalls von Vorteil. Nicht umsonst geben milliardenschwere Investorengruppen viel Geld aus, um die Verwertungsrechte an älteren Inhalten zu erwerben.

Foto: Burgtheater Ton&Videoabteilung

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