Die Frankfurter Buchmesse sieht sich wieder auf Erfolgskurs. Mit verantwortlich dafür ist das relativ neue Format Book Tok.

Anhängern des Philosophischen Quartetts und Liebhabern tiefsinniger Literatur dürften wohl die Tränen über die Wangen kullern. Die Zeit des gehobenen Bildungsbürgertums scheint endgültig vorüber, und auch die Buchmesse als sein Repräsentationsspektakel schlechthin hat sich nunmehr in kommerzielle Niederungen begeben. In einer Zeit, in der allen Ernstes ein TV-Sender wie 3SAT um seine Zukunft fürchten muss, scheint dies wenig verwunderlich. Bytedance, das chinesische Unternehmen hinter Tik Tok, ist schließlich ausgesprochen zahlungskräftig und durch intensive Werbekampagnen on- wie offline auch in der EU längst zu einem „Household Name“ geworden. An Tik Tok kommt niemand vorbei, der in der öffentlichen Wahrnehmung stehen oder etwas verkaufen will.

Strategie und Hype

Um zu verstehen, warum die Frankfurter Buchmesse als europäische Leitmesse der Buchkultur mit einem scheinbar gegensätzlich ausgerichteten Konkurrenten eng zusammenarbeitet, muss man sich das zugrundeliegende Wertschöpfungsschema vor Augen führen. Während Facebook längst als Geriatriestammtisch gilt, ist auf Tiktok trotz gleichen Prinzips des User-generated Contents alles vertreten, was sich jung, dynamisch und flexibel fühlt. Damit ist eine gewisse Hektik und Kurzlebigkeit vorgegeben, die auf den ersten Blick in Widerspruch zur Buchwelt zu stehen scheint. Ein Buch liest man für gewöhnlich alleine, ohne das Gelesene ständig zu kommentieren und zu teilen. Somit gehört das Buch zur Privatsphäre, die seit geraumer Zeit dahinschwindet. Book Tok hingegen holt das Buch und dessen Leser vor das Rampenlicht und potenziert damit den Marketingeffekt. 

Erfolg zeitigt die Mittel

Dass die Buchmesse sich erneuern muss, ist den Veranstaltern der Messe Frankfurt schon lange klar und anders als bei der Musikmesse auch gelungen. Comics sind samt ihres weitläufigen Umfelds seit jeher fixer Bestandteil des Programms und gelten längst als Hochkultur.  Auch die Cosplay- und Gamerszene mit Vorliebe für fernöstlichen Mangas entliehene Inhalte kommt seit vielen Jahren in den Genuss einer eigenen Ausstellungsfläche auf der Buchmesse. Bei Book Tok ist die Synergie nicht so offensichtlich, aber vorhanden. Zunächst spricht Book Tok eine potenziell leseaffine Zielgruppe an: diese ist primär weiblich und unter 20 Jahre alt. Darum schart sich mittlerweile ein eigenes literarisches Genre, nämlich „Young Adult“ oder weniger cool auf Deutsch „Teenagerliteratur“. Folgerichtig wird man bei Book Tok keine schwer konsumierbaren Werke finden, sondern eher triviale Herz-Schmerz-Literatur, die sich ob ihrer Vorhersagbarkeit vermutlich leicht von generativer KI-Software erstellen lassen dürfte.

Wohl oder Wehe

Zahlreiche Beobachter sehen im Book Tok-Hype daher keinen langfristigen Trend, sondern bestenfalls einen temporären Absatz-Booster für den Buchhandel. Dieser wiederum zeigt sich von Book Tok durchweg angetan und integriert entsprechende Inhalte gerne in bestehende Werbekampagnen. Eines lässt sich Book Tok aber beim besten Willen nicht abstreiten, nämlich das gedruckte Buch wieder frisch und modern erscheinen zu lassen. E-Books hingegen, die vor 20 Jahren noch als naheliegende Ablöse gehandelt wurden, kommen bei Book Tok gar nicht erst vor. Es wäre nicht das erste Mal, dass technischer Fortschritt und nostalgisch geprägter Retro-Gedanke einander prima ergänzen.     

Foto: Frankfurter Buchmesse

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