Am 28. April verwandelt sich die verschlafene Kleinstadt Krems wieder zwei Wochenenden lang in ein Zentrum des zeitgenössischen Diskurses rund um das diesjährige Donaufestival.

Harte Zeiten für die niederösterreichische Kulturbranche. Nach Coronapandemie und Ukrainekrieg steht mit der neuen Landesregierung nun auch noch ein Schwenk in Sachen Kulturpolitik im Raum. Immerhin, die größten Hürden sind umschifft, und wie viele andere Kulturunternehmen hat die NÖKU-Gruppe die Zeit genutzt, um sich intern neu aufzustellen. Schließlich warten in den kommenden Jahren zahlreiche Herausforderungen darauf, gemeistert zu werden. Eben diese Herausforderungen sind es auch, die zum Teil den programmatischen Überbau für die Veranstaltungen bilden, insbesondere jenen des Donaufestivals.

Seit jeher versucht das Donaufestival, mit seinem Programm zum Diskurs anzuregen. Aus diesem Anspruch ergibt sich ein kritischer Blick auf globale Entwicklungen, der weit über schnöde Unterhaltung hinausgeht. Ein Nischenprogramm, sicherlich, aber eines, das sich längst über alle Grenzen hinaus etabliert hat.

Beyond Human

Dieses Jahr hat Kurator Thomas Edlinger ein Langzeitthema hervorgeholt, das die gesamte Menschheit betrifft. Wie kann und soll sich der Homo Sapiens weiterentwickeln angesichts der Tatsache mannigfachen Kontrollverlustes? Eingekreist von der Wissenschaft, die einerseits immer neue Erkenntnisse aus der Welt unserer Mitwesen zutage fördert wie etwa die natürliche Intelligenz der Pflanzen, andererseits mittels lernfähiger Software und menschenähnlichen Robotern menschliche Leistungen überbietet, sieht sich der Mensch mit einem Ohnmachtsgefühl konfrontiert, das durch eine Portion narzisstischer Kränkung abgerundet wird.

Nach dem Anthropozän, also dem Zeitalter, das maßgeblich vom Menschen bestimmt wurde, kommt das Alienozän. Die Menschheit wird sich selbst fremd. Immer schneller dreht sich die Spirale der Überforderung, und mit jeder neuen Möglichkeit offenbart sich eine Möglichkeit des Scheiterns. Am Rande dieser Bruchlinie, die auch der Soziologe Hartmut Rosa oder der Philosoph Bjung-Chul Han erörtern, tun sich viele Fragen auf, die ein Weitermachen wie bisher unmöglich werden lassen. Wer wird in Zukunft die Welt definieren, Menschen oder Algorithmen?

Zart bis hart

Vor diesem posthumanen Gedankenszenario, das übrigens in ähnlicher Form auch von der Linzer Ars Electronica unter dem Motto „Wem gehört die Wahrheit?“ aufgegriffen wurde, verhandeln zahlreiche Künstler aus den Disziplinen Musik, Tanz, Film und Performance-Kunst diverse Möglichkeiten der Aktion und Reaktion. Die stilistische Bandbreite erstreckt sich dabei von tiefsinniger Subtilität bis hin zu brachialen Äußerungsstürmen, je nachdem, welche Sichtweise die Oberhand gewinnt: Chance oder Falle, Gedeih oder Verderb?

Für themengerechte Verstörung ist sowieso gesorgt, wenn Big | Brave oder Puce Mary die Bühne beschallen. Ruhiger, dabei nicht weniger eindringlich, geht es die pakistanische Musikerin Arooj Aftab am 7. Mai in der Minoritenkirche an. Dazu gibt es Theaterperformance von Harald Beharie („Batty Bwoy“) oder Francesca Foscarini und Cosimo Lopalco („Punk – Kill Me Please!“), Filmvorführungen im Kino am Kesselhaus, Vorträge und Lesungen, etwa von Disnovation.org und Frédéric Neyrat, der den Begriff „Alienozän“ mitgeprägt hat, sowie einige kleinere Nebenschauplätze. Die Veranstaltungsorte sind wie immer über ganz Krems verteilt, ein Programmplaner gilt als unerlässliches Begleitutensil.

Foto: Disnovation.org

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